Es geht um die Wurst ...
oder nur die Frage: Was esse ich heute? Es ist Freitag.
Mein Senf dazu und ein paar Gedanken aus der meiner Perspektive als historischen Köchin zur aktuellen Wurstdiskussion.
Die Aufregung ist groß. Die Gemüter kochen hoch. Die Gesellschaft ist gespalten. Denn Wurst dürfen nur noch Produkte genannt werden, die aus Fleisch hergestellt wurden. 1) Neben den Argumenten Stärkung Landwirte 2) in der Versorgungskette und Verbraucherschutz durch Missverständnisse wird in der emotionalen Berichterstattung, den Kommentaren und Gesprächen auch angeführt: Die war schon immer aus Fleisch!
Aber Formulierungen wie „schon immer“ oder „seit Alters her“, was oft und gerne in Werken aus den Anfängen der Geschichtswissenschaft 3) zu finden ist, sind oftmals ein Zeitbegriff, ohne die angenommene Dauer oder Spanne zu konkretisieren.
Bei der Wurst ist „schon immer“ damit grob 120 Jahre. In historischen Kochbüchern aus dem späten 19. Jahrhundert werden neben Würsten aus Schweinefleisch oft unter der Überschrift „andere Würste“ Würste aus Hase, Hirsch, Fisch und / oder Kartoffeln hergestellt. Im Vollständigen Nürnbergischem Koch-Buch von 1691 sind Würste auch aus Feigen, Mandeln und Rosinen und noch ein weiteres Jahrhundert zurück schreibt Franz de Rotzinger im Kunstbuch von mancherlei Essen von Reiswürsten. Der Begriff Wurst wird in allen Kochbüchern als Darreichungsform definiert und bei Rotzinger noch ergänzt durch einen weiteren konkreten Hinweis: Diese Würste alle werden in Wasser verwellt / darnach aufgezogen daß sie kalt werden / so kan man sie brauchen zu kochen oder braten / etc. 4)
Im Mittelalter mit seinen ca. 150 Fastentagen gibt es wenige Wurstrezepte, aber dafür viele andere Gerichte, die zunächst nach einem Fleischgericht / Eier- oder Milchgericht klingen. Beim schnellen überfliegen, habe ich dort für Fastentagen „Hasen“, „Rebhühner“ und „Hühner“ aber auch „Eier“ und „Käse“ ohne tierische Produkte gefunden. 4) Diese Rezepte sind aber KEINE veganen Rezepte, sondern folgen den zeitgenössischen mittelalterlichen Fastenregelm. Um hier gleich einer Überinterpretation vorzubeugen. Vegan im heutigen Sinne war kein Lebenskonstrukt des Mittelalters und auch vieler Jahrhunderte danach nicht.
Die Esser, Genießen und Konsumenten – so schaut es fast aus – scheinen die Unterschiede zwischen Darreichungsform und Zutat gewusst zu haben, waren so aufmerksam zu bemerkte, dass es anders ist oder konnten einen Fastentage und Fleischtage unterscheiden. Auch in den 1970ern wusste man, ein Falscher Hase ist nicht aus Hase.
Von mir, einem omnivoren Menschen (was definiert ist als: sowohl von pflanzlicher als auch von tierischer Nahrung lebend) ein Vorschlag zur Güte: Warum nicht das ganze nicht „Wurst“, „Schnitzel“ oder „Burger“ für Mittwoche und Freitage und für die Zeit vor Ostern und vor Weihnachten nennen? Dann wäre es auch einfacher zu entscheiden, was ich heute koche, am Freitag, den 10.10.2025, dem Tag nach der großen Wurstaufregung.
Und an alle die, die sich gerade so viel Gedanken um Definitionen machen. Vielleicht kann auch jemand, den Beschluss vom 17.12.2013 überdenken, durch den die Mandelmilch aus den selben lobbygetriebenen Gründen, nicht mehr Mandelmilch, sondern Mandeldrink heißen muss und ich seit 12 Jahren vorm Putzmittelregal stehe und mich frage: Warum darf die Scheuermilch weiter Scheuermilch heißen? 5)
Und zum Schluss möchte ich noch das Kanguru zitieren:
Quellen:
1)
Link zur Pressemittelung des EU Parlaments vom 9.10.2025 und Link zum Gesetzestext folgt.
2) Definition Landwirt gem. Duden: Landwirt, der: männliche Person, die selbstständig Landwirtschaft, Ackerbau und Viehhaltung betreibt, einen landwirtschaftlichen Betrieb führt oder leitet. Also auch Landwirte, die Pflanzen zur Herstellung von NichtFleischWurst sind irgenwie beteiligt. Es könnte also auch sein, dass die ganze Diskussion sich eigentlich um Analogfleisch dreht? Oder darf das als Fleischbezeichnet werden.
3) Beisiel: Fünf Bücher deutscher Hausaltertümer von den ältesten geschichtlichen Zeiten bis zum 16. Jahrhundert von Moriz Heyen zu finden über archive.org
4) eine Auswah, der von mir erwähnten Kochbücher sind hier zu finden: DeTimmermasche – Wissenswertes – Kochen – Kochbücher (Link)
5) mehr von der Mandelmilch bei: DeTimmermansche – Rezepte – Zutaten – Mandel (Link)